Mandolinenorchester Arion

Eine Zeitreise durch Steyrs Kultur und Geschichte

Die Anfänge

Die Geschichte beginnt kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem damit verbundenen Ende der Herrschaft der Habsburger. In Österreich-Ungarn starben in diesem Krieg fast zwei Millionen Menschen.
Im Oktober 1918 begann man in Österreich zu realisieren, dass eine gefährliche Form der Influenza grassiert. Vor allem von Spanien aus hatte sich diese Grippepandemie ausgebreitet. Mindestens die Hälfte der über sechs Millionen Einwohner Österreichs waren erkrankt, ungefähr 40.000 starben.
Der einstige Wirtschaftsraum war zerstückelt und nur ein kleiner Teil verblieb in der neugegründeten Republik. Auch der Verlust jeglicher Häfen und der Kohlereviere führte zu einer desaströsen wirtschaftlichen Situation. Österreich musste sowohl einen Großteil der Schulden der Monarchie übernehmen als auch hohe Reparationszahlungen leisten. Die Inflation stieg ins Unermessliche. Lebensmittel verteuerten sich im Jahre 1921 um 124%.
Während der neue Staat um eine Verfassung rang, litten die Menschen unter bitterer Armut und Hunger. In den Städten grassierte die Tuberkulose.
Mit Hilfe einer Völkerbundanleihe in der Höhe von 650 Milliarden Goldkronen versuchte die Politik, der aufkeimenden, revolutionären Stimmung und Unruhe, entgegenzutreten. Frauen wurde das Wahlrecht zugesprochen und mit einer beispielhaften Sozialgesetzgebung sollte das größte Leid gelindert werden. Die unterernährten Kinder wurden zur Erholung nach Holland und Dänemark geschickt.
In einer Baracke in der Arbeiterstraße arbeitete 1923 der 26-jährige Schlossermeister Emmerich Vösl. Wie auch in anderen Städten zu jener Zeit üblich, schloss er sich mit Freunden zu einem Freizeitorchester zusammen. Violine, Cello oder Kontrabass waren zu jener Zeit in der Arbeiterbewegung mehr als unerschwinglich. Statt die Instrumente zu streichen, wurde stattdessen gezupft. Der Verein der „Mandolinen- und Gitarrenfreunde“ war geboren.

 

 Gründung der „Mandolinen - und Gitarrenfreunde“ 1923


Mit Mandolinen – den Geigen des kleinen Mannes – wurden alsdann Ouvertüren aus Opern und Operetten musikalisch interpretiert und seit 1925, kurz nach der Währungsreform und der Einführung des Schillings, auch öffentlich aufgeführt. Von nun an konnten die Arbeiterinnen und Arbeiter so dem tristen Alltag entfliehen und sich in Vösls Werkstatt in ihrer Freizeit den wundervollen Klängen der Mandolinen hingeben. 1928 bestand das Orchester bereits aus 70 Musikerinnen und Musikern.

 Erstes Konzert der „Mandolinen- und Gitarrenfreunde“ 1925


 Aufstand der Arbeiterbewegung

Knapp zehn Jahre später war die Situation der Menschen in Steyr erneut von Armut, Hunger und Elend geprägt. Die Arbeiter-Zeitung schrieb zur Situation in Steyr: "Neunzig Prozent aller Kinder in Steyr sind furchtbar unterernährt, die Tuberkulose wütet unter ihnen, zerfrisst ihre Lungen, ihre Knochen, ihre Kehlköpfe. Es gibt Menschen, die tagelang im Bette liegen, weil sie weder Holz, noch Kohle, noch Kleider noch Schuhe haben. Es gibt Familien, deren einzige Kost seit Monaten Wassersuppen sind.“


Die paramilitärische Heimwehr terrorisierte die Menschen mit dem Ziel der Abschaffung der Demokratie und dem Aufbau eines Ständestaates. Bereits vor dem Verbot der Sozialdemokratie und des Schutzbundes wurde Vösls Werkstatt auch Deckadresse für den roten Untergrund. Viele engagierte Arbeiterinnen und Arbeiter fanden, in dem nun in „Mandolinenorchester Arion“ umbenannten Verein Gleichgesinnte und Schutz. Gemeinsam mit dem Gründer des Orchesters engagierten sie sich für den Erhalt der Demokratie und soziale Unterstützung der Armen.
Die Demonstrationen der Arbeiterbewegung und der Arbeitslosen prägten diese Zeit. Nachdem es am Morgen des 12. Februar 1934 in Linz zu Kampfhandlungen kam, rief der Obmann des Betriebsrates August Moser nach dem einstimmigen Beschluss aller Betriebsräte der Steyr-Werke den Streik aus. Gegen Mittag eskalierte die Situation völlig. Es wurde von allen Seiten geschossen und die Gleise der Eisenbahn gesprengt.
Schlechte Ausrüstung und Verhaftungswellen machten den Kampf des Schutzbundes aussichtslos. Am Nachmittag des 13. Februar war er verloren. Ungefähr 800 Sozialdemokraten wurden gefangen genommen und in die kalten Pferdeställe ins Schloss Lamberg und in den Hof des Rathauses gepfercht. Das austrofaschistische Regime zerstörte sozialdemokratische Büchereien, vernichtete Notenblätter und Schriften und plünderte Konsumvereinslokale. Am 17. Februar wurde unser Vereinsmitglied, der arbeitslose, gelernte Bauschlosser, Josef „Sepp“ Ahrer im Alter von 26 Jahren in einem schnellen Schauprozess wegen Mordes, auf Basis einer erwiesenermaßen falschen Zeugenaussage zum Tode verurteilt. Da so kurzfristig kein Henker zur Verfügung stand, übernahm ein Laie die Hinrichtung.
Ahrer starb aufgrund des fehlerhaften Knotens im Seil aber nicht sofort. Zwei Polizisten hängten sich daraufhin an seine Beine, sodass er erst nach ungefähr 20 Minuten von seinen Qualen erlöst wurde.

 

„Er war bei uns im Arion im Arbeiterverein.

Ich fühl es wie einst es war, ach, könnt es noch so sein.

Es spielten sanft die Mandolinen

und schöne Jugendjahre vergingen.

So sitzen wir in vier Wänden gefangen

an der Linken beim Fenster wurde Sepp Ahrer gehangen.


 

Mit festem Schritt er den Galgen betritt
.
Der Pfaff ihm noch in den Wege schritt.

Das Kruzifix in der Hand und Trost möcht’ er geben

die gaben vorher den Kanonen den Segen.

Im Hofe verwegene Heimwehrgesichter
mit ihren Offizieren, Pfaffen und Richtern

Sie alle waren glückselig berauscht

 

als nach achtzehn Minuten sein Leben ausgehaucht.

Auszug aus „Ahrer-Sturm“, Verfasser unbekannt, veröffentlich in “Roter Rebell”,

Kampforgan des KJVÖ in OÖ, Nummer 1, 1934

 

 

Widerstand gegen den  Nationalsozialismus

Eine Phase der Stabilisierung der österreichischen Politik lag zu jener Zeit noch schier unendlicher Ferne. Nach dem Austrofaschismus folgten direkt die Jahre der Schrecken des Nationalsozialismus und der Shoa.
Und wieder waren es die Mitglieder des Mandolinenorchester Arion, die in ihrer aufrechten Haltung und ihrem Einsatz für ein menschliches Miteinander zu einem der ersten Ziele der Gestapo wurden. Zäzilia Rohrauer wurde wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz zu acht Monaten Zuchthaus verurteilt, weil sie offen ihre Abneigung gegenüber den Faschisten zum Ausdruck brachte. Ludwig Scheichl hörte oft gemeinsam mit anderen Widerständlern die Nachrichten der Sender Moskau und Straßburg. Aufgrund ihrer „kommunistischen Zusammenkünfte“ wurde die gesamte „Widerstandszelle“ verhaftet und er wurde wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Aber auch die Orchestermitglieder Florian Schnellinger, Hans Moser, Adalbert Vratny, Emmerich Vösl und andere waren im Widerstand aktiv.

Verrat gab es selten. Selbst unter den Qualen der Folter schwiegen die Widerstandskämpfer, sodass über weitere Aktionen nur wenig bekannt ist. Seit 1936 war der zweite Steyrer Mandolinenverein „Mignon“ nicht mehr aktiv und so wurden deren Mitglieder 1938 in den Arion aufgenommen. Von nun an unterstützten sie gemeinsam notleidende Menschen und erhielten sich Menschlichkeit und Würde.
Nach Kriegsende gab es kaum noch spielbereite Orchester. Emmerich Vösl begann sofort mit dem Wiederaufbau seines Vereins und so war Arion trotz aller Verluste weiterhin spielbereit. Kaum war der Krieg vorbei, konnten die Menschen wieder den Saitenklängen des Mandolinenorchester Arion bei einem Konzert in „Steyr-Ost“ lauschen und für ein paar Stunden Not und Elend aus ihren Herzen vertreiben.

"Mandolinenorchester Arion" 1945


Reisezeit der Entspannung

Auch wenn Tod und Zerstörung in Europa ein Ende fanden, so war es jedoch noch zu früh, um von Friedenszeiten zu sprechen. Es begann der Kalte Krieg. Die Welt war zweigeteilt in Ost und West. In Korea endete 1953 der Krieg. Für das Mandolinenorchester Arion begann eine ruhigere Zeit. Vösl suchte händeringend um Mitglieder und so schrieb das Amtsblatt zum 30. Geburtstag des Vereins über ihn: „Obwohl der Verein jetzt bereits 25 Mitglieder zählt, hat er doch dauernde Sorgen um den Nachwuchs, der die Pflege der Volksmusik weitertragen kann.“  In Anerkennung der Verdienste des Vereins um das kulturelle Leben Steyrs wurde Emmerich Vösl die Ehrenplakette der Stadt Steyr verliehen. Die Funktion als musikalischer Leiter gab er ab. Diese übernahmen für je drei Jahre Franz und Maria Rohrauer, ab 1959 folgte Rudolf Zweckmayr.

Ab 1963 begann eine Phase der Entspannung zwischen den Weltmächten mit der Unterzeichnung des Atomteststoppabkommens, welches Tests von Kernwaffen in der Luft, dem Weltraum und unter Wasser verbot. Erstmals wurde die Anzahl der Atomwaffen begrenzt. Ein weiterer Schritt war 1973 die erste Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die 1975 zur Schlussakte von Helsinki führte. 1968 verstarb Emmerich Vösl, Gründer des Mandolinenorchesters Arion, überraschend im 71. Lebensjahr.

Mit der Entspannungspolitik begann für das Mandolinenorchester Arion die Epoche der Reisen auch teilweise über den “Eisernen Vorhang“ hinweg. Nachdem Arion bereits 1956 am Bundesmusikfest des Deutschen Allgemeinen Mandolinistenbundes in Hannover teilgenommen hatte, folgte 1965 eine Konzertreise nach Mannheim in West-Deutschland. 1968 konzertierten sie in Brünn in der ehemaligen Tschechoslowakei und 1974 in Neuenhain / Bad Soden (BRD).

Im Jahr 1978 spielte das Orchester unter der musikalischen Leitung von Rudolf Angerer in Banja und Michailovgrad in Bulgarien. Im Folgejahr konzertierte der Verein unter Ernst Krenmaier im damaligen Ilok und Vukovar im ehemaligen Jugoslawien, ehe sie 1981 in der Steyrer Partnerstadt Plauen in der ehemaligen DDR vor mehreren hundert Zuschauern gastierten. Im Jahre 1984 übernahm Walter Stöckel für ein Jahr die musikalische Leitung des Ensembles.

Vier Jahre später konnten die 34 Musikerinnen und Musiker des Mandolinenorchesters Arion anlässlich der „Österreichtage“ in Moskau, St. Petersburg und Wolgograd auftreten. Die Zeitung „Vorwärts“ schrieb im November 1985: „Das abwechslungsreiche Programm des Mandolinenorchesters ‘Arion’ wurde überall mit Begeisterung aufgenommen. Vor allem wurde mit Erstaunen die künstlerische Vollendung der Darbietung dieses Laienklangkörpers vermerkt. ‘Arion Steyr’ wird von Egon Messner geleitet, dem Fachleute hohe Anerkennung zollen.“

"Mandolinenorchester Arion" in Mannheim 1965


Der Vorhang fällt - ins neue Jahrtausend

Von 1987 bis 1990 war es erneut Ernst Krenmaier, der die musikalischen Geschicke des Orchesters leitete. Der „Eiserne Vorhang“ fiel und es zeichnete sich eine Zeit der internationalen Öffnung und Versöhnung ab.
Ins neue Jahrtausend begleiteten uns Konzertmeisterin Mag. Marion Schörkl (geborene Koller), die besonderen Wert auf zeitgemäße Spieltechnik legte und unser langjähriger Dirigent Werner Franz Schörkl. Unter seiner Leitung wurde besonders an stilistischer Vielfalt gearbeitet und es entstanden die zwei Tonträger „Saitenweise“ und „Ein Mandolinenquilt“.
Im Jahr 2005 gründete Karl Fertner innerhalb des Mandolinenorchesters eine Runde, die sich auf amerikanische Musik wie Bluegrass, Gospel, Zydeco und Countrymusic spezialisierte. Fünf Jahre später gastierten sie bereits in den Vereinigten Staaten und begeisterten bei ihren Auftritten das amerikanische Publikum.

„Arion Bluegrass Family“ in Florida (USA) 2010 

Seit 2009 obliegt die musikalische Leitung des Orchesters Roswitha Mayr, die als Mitspielerin an Mandoline und Akkordeon seit 2009 bei den meisten Auftritten vom Pult aus die Musikerinnen und Musiker zum Einklang bringt, Tempo, Einsätze und Pausen vorgibt sowie die Lautstärke der Instrumentengruppen führt.

Mit Dirigentin Monika Poschmayr gestaltete das Mandolinenorchester 2010 zusammen mit dem Männerchor Garsten einen Konzertabend und ein Jahr später spielten sie gemeinsam mit der Chorgemeinschaft EinKlang beim „SchlossaChord“ auf Schloss Losensteinleiten.

Der Gitarrenvirtuose Prof. Walter Würdinger erlernte als Kind das Mandolinespielen beim Arion. Anlässlich des 90. Geburtstages des Ensembles ließ er Staatsoper, Burgtheater, Volksoper und Universität zurück und dirigierte das Mandolinenorchester. Das Publikum feierte frenetisch seine Gitarrensoli und war von den Klängen des Orchesters begeistert.


Und heute

Zum hundertsten Geburtstag dirigierte Monika Poschmayr das Ensemble und übernahm die musikalische Leitung. Gemeinsam mit dem „Welser Mandolinen- und Gitarrenorchester“ und Musikerinnen und Musikern des zuvor aufgelösten Mandolinenvereines „Mandolos“ aus Linz führte das Mandolinenorchester Arion am 3.Juni im Stadttheater sein Jubiläumskonzert auf.


„Mandolinenorchester Arion“ 2022


Seit einem Jahrhundert prägt nun schon die Steyrer Geschichte das Mandolinenorchester Arion und das Mandolinenorchester Arion die Geschichte der Stadt und so wie die Zeit vergeht, so verändert sich auch die Kunst. Entsprechend wuchs auch das Repertoire des Vereins. Dieses spannt einen weiten Bogen von der Renaissance über alle Epochen hinweg bis hin zu aktueller Pop- und Rockmusik. Werke bekannter Komponisten gehören ebenso zum Programm dieses traditionellen Klangkörpers wie auch Folklore aus allen Teilen der Welt.

 
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